Über zwei Jahre Pandemie haben selbst die größte Frohnatur in mentale Mitleidenschaft gezogen. Ängste, Unsicherheiten, ein traumatisierendes Paniklevel haben ihre psychischen Spuren hinterlassen. Patrizia Patz illustriert, wie wir dem entrinnen und mehr Klarheit über unsere Gefühle bekommen.
„Wie geht es dir?“ „Gefühlt beschissen … wie soll es einem schon gehen in diesen Zeiten?“ Zwei Jahre Pandemie liegen hinter uns und kaum haben wir uns halbwegs an den Umgang mit dem Virus gewöhnt, kommt schon der nächste Schlag in die Magengrube unserer Gefühlswelt: Krieg in der Ukraine, horrende Benzinpreise, steigende Lebenshaltungskosten. Grund genug also, um schlecht drauf zu sein, selbst wenn man bisher nicht um die eigene Gesundheit oder die von Nahestehenden bangen musste.
Die Gefühle, die in dieser bewegten Zeit in uns aufsteigen, sind mannigfaltig: Unsicherheit und Angst davor, wie es weiter gehen soll. Wut über hohe Preise, Kriegstreiberei und den Verlust von Freiheiten. Traurigkeit angesichts der Bilder von zerstörten Städten, verzweifelten Flüchtenden oder aufgrund des Verlusts von geliebten Menschen, Kontakten und Gewohnheiten. Depressionen, Angststörungen und Erschöpfungszustände sind seit der Pandemie sprunghaft angestiegen – und das sogar bei den Jüngsten unter uns, den Kindern.
Kein Wunder, bei so viel negativen Emotionen. Und genau in dieser Annahme liegt das eigentliche Problem und gleichzeitig auch die Lösung, um diesen Zuständen zu entrinnen! In unserer Kultur sortieren wir Gefühle immer noch in „positiv“ und „negativ“. Von unseren vier Grundgefühlen, legen wir Angst, Wut und Traurigkeit in die Negativ-Schublade und nur die Freude darf bei uns bleiben. Die Negativ-Schublade wird fest verschlossen und der Schlüssel vorsichtshalber weggeworfen. Wir wollen keine negativen Gefühle haben. Wir lernen auch nicht mit Gefühlen umzugehen – egal ob mit den guten oder den vermeintlich schlechten. Und diese Prägung wird uns in Zeiten großer Veränderungen, wie wir sie jetzt gerade erleben, zum Verhängnis.
Wenn wir größere Umbrüche in unserem Leben erfahren, insbesondere, wenn diese ungewollt passieren, sind bestimmte Gefühlszustände unvermeidbar. Diese Gefühle sind aber eigentlich nicht dazu gedacht, uns das Leben schwer zu machen, sondern um uns bei der Bewältigung dieser Umbrüche zu helfen. Solange wir diese Gefühle aber nicht haben wollen und deshalb verdrängen, passiert genau das erstere. Probleme entstehen also nicht durch vermeintlich negative Gefühle an sich, sondern durch unseren unbewussten Umgang mit Gefühlen – durch das Verdrängen, das Nicht-Haben-Wollen, das unbewusste Ausagieren dieser Gefühle.
Umgang mit Angst
Ein Gefühl, das mit jeder Veränderung einhergeht – egal ob die Veränderung selbst gewählt ist oder uns unvorbereitet trifft – ist die Angst. Denn nicht zu wissen, wie es geht und auch nicht zu wissen, ob das Neue funktionieren wird oder nicht, erzeugt unweigerlich Angst. Wenn wir Angst als negative Emotion sehen und sie verdrängen, dann spielt sie sich im Unbewussten ab. Unbewusst ausagierte Angst kann uns in Panik- und Schockzustände versetzen – wir sind wie gelähmt, bekommen kaum noch Luft und können nicht schlafen. Gleichzeitig hoffen wir, dass wir morgen aufwachen und alles wieder gut und beim Alten ist. Die Angst wabert im Unterbewusstsein vor sich hin und führt zu einem ständigen Adrenalinausstoß, der uns irgendwann in die Erschöpfung bringt. Wenn Angst für uns nicht okay ist, wird jede Veränderung so zu einer unüberwindbaren Hürde.
Wenn wir Angst allerdings als Ressource betrachten, die uns hilft mit Veränderung zurecht zu kommen und lernen, sie bewusst zu nutzen, dann unterstützt sie uns dabei, vorsichtig Neuland zu betreten, ungewöhnliche Lösungen zu finden sowie wach, präsent und erfinderisch zu sein, um mit den neuen Umständen umzugehen. Und dann entstehen plötzlich kreative Ideen, wie Balkon-Konzerte oder ganz neue Geschäftsmodelle.
Umgang mit Wut
Ein weiteres Gefühl, das vor allem mit Veränderungen einhergeht, die wir nicht selbst gewählt haben, ist die Wut. Und auch mit Wut können wir entweder unbewusst oder bewusst umgehen. Ist Wut für uns nicht okay, verdrängen wir sie ebenso wie die Angst ins Unbewusste. Dort kann sie sich dann entweder durch körperliche Symptome bemerkbar machen, wie Bluthochdruck, Verspannungen oder Zähneknirschen. Oder sie lässt uns ständig angespannt und genervt sein – wir meckern über die blöde Regierung, sind empört und frustriert. Wir wollen die Veränderung nicht haben, wir bleiben im Widerstand und hoffen, durch unsere störrische Verweigerung, dass alles beim Alten bleibt. Wir verpulvern damit wertvolle Lebens-Energie.
Wenn wir allerdings beginnen, Wut als Ressource zu sehen und lernen, sie bewusst zu nutzen, dann ist sie die Kraft, die uns dabei hilft, in Aktion zu treten, etwas ganz Neues zu beginnen und für das einzustehen, was uns wichtig ist. Mit Wut können wir Klarheit schaffen und aktiv den Neubeginn für uns selbst gestalten, anstatt uns über die Veränderung zu beschweren und sie passiv zu bekämpfen.
Umgang mit Traurigkeit
Auch Traurigkeit ist ein normaler Bestandteil von größeren Veränderungsprozessen. Immer wenn etwas zu Ende geht und wir etwas verlieren, das uns lieb und teuer war, empfinden wir Traurigkeit. Oder auch wenn wir sehen, wie andere leiden. Wenn wir Traurigkeit aber für negativ halten und sie verdrängen, dann macht auch sie sich in unserem Unterbewusstsein breit und raubt uns jegliche Motivation. Durch unbewusste Traurigkeit werden wir zu antriebslosen, jammernden Opfern der Umstände, die scheinbar nichts an ihrer Situation ändern können. In Phasen der Veränderung bringt uns dieser unbewusste Umgang mit der Traurigkeit irgendwann in die Resignation. Wir geben auf und ergeben uns den Umständen – es kommt zu einer Art passiven Akzeptanz.
Traurigkeit als nützliche Ressource betrachtet, würde uns dabei helfen, in eine aktive Akzeptanz dessen, was ist, zu gelangen, statt in die Resignation. Traurigkeit macht uns weich und nahbar, sie zeigt uns, was uns am Herzen liegt und lässt uns demütig Dinge loslassen und würdig verabschieden, deren Zeit gekommen ist. Und: Traurigkeit verbindet uns mit anderen. Sie lässt uns mitfühlen, in Kontakt sein und auch für andere aktiv werden, die in Not geraten sind.
Schritte aus lähmenden Gefühlszuständen
Eine Möglichkeit, um aus diesen als negativ empfundenen und wenig nützlichen Gefühlszuständen herauszukommen, besteht also darin, vom unbewussten ins bewusste Fühlen zu wechseln. Dazu ist zunächst eine andere Perspektive auf Gefühle notwendig als die, die wir gewohnt sind: Gefühle sind Ressourcen, die uns dienen. Sie geben uns Information und Kraft zum Handeln. Ganz praktisch könnte der Wechsel vom unbewussten zum bewussten Fühlen so aussehen:
1. Gefühle bewusst machen und einordnen
Wenn Sie sich gerade schlecht fühlen, halten Sie inne und fragen sich selbst: „Was fühle ich gerade?“ Wir können die meisten unserer Gefühle auf 4 Grundgefühle zurückführen: Wut, Traurigkeit, Angst und Freude.
2. Das Gefühl bewusst fühlen
Versuchen Sie nicht sofort zurück in den Verstand zu gehen. Bleiben Sie stattdessen mit Ihrer Aufmerksamkeit im Körper, atmen Sie weiter und erlauben Sie dem Gefühl da zu sein und sich auszudrücken.
3. Das Gefühl nutzen
Lassen Sie sich von dem Gefühl informieren, worum es geht: „Ich fühle Angst, weil …“ Sobald Sie Klarheit über den Grund haben, können Sie die entsprechende Gefühlskraft nutzen. Im Falle von Angst z.B. dafür, um kreative Lösungen zu finden oder sich mehr Informationen zu holen.
Das Buch zum Thema
Patrizia Patz
Gefühle
Emotional gesund in einer rationalen Welt
2. Auflage BusinessVillage 2021, 258 Seiten
ISBN-Buch 978-3-86980-495-8 14,99 Euro
Bildnachweis
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Bild 354678276
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