Ein globales Netzwerk für die Aufklärung

Vor 15 Jahren wurde in Deutschland der Weltverhütungstag ins Leben gerufen - Ein Interview mit der Initiatorin

Hannover (ots) -

Jedes Kind, das in diese Welt geboren wird, sollte gewollt und geliebt sein. Dieses große Ziel war und ist der Grundgedanke des Weltverhütungstages, den Heike Prinz 2007 in ihrer damaligen Rolle in der Frauengesundheitssparte mit initiiert hat und der seit dem jedes Jahr am 26. September begangen wird. Was wurde in den 15 Jahren, die seitdem vergangen sind, erreicht und was nicht? Wo liegen die Herausforderungen für die Zukunft? Über diese und andere Fragen sprach die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), seit 2009 offizielle Partnerin des World Contraception Day (WCD), mit Heike Prinz, heute beim Pharmakonzern Bayer verantwortlich für die Märkte in Europa, den Mittleren Osten und Afrika, und ihrem Kollegen Claus Runge, Leiter für Markteinführungen, Öffentliche Beziehungen und Nachhaltigkeit.

Frau Prinz, wie ist die Idee zum ersten WCD 2007 entstanden?

Heike Prinz: Am Anfang stand die Erkenntnis, dass wir zwar immer mehr und modernere Verhütungsmethoden entwickelten, sich bestimmte Statistiken aber nicht entsprechend veränderten, allen voran die der Teenagerschwangerschaften. Diese Zahl blieb viel zu hoch, und dies auch in Ländern, wo der Zugang zu Verhütungsmitteln eigentlich kein Problem darstellte. Offenkundig mangelte es also an Aufklärung, und zwar weltweit. Bei der Überlegung, wie man denn eine entsprechend umfassende Kampagne organisieren könnte, kamen wir auf das Modell des Welttages.

Wie schwierig war die Umsetzung?

H.P.: Es gab schon eine ganze Anzahl von Graswurzelbewegungen in den Ländern, die dann auf die globale Ebene gehoben und ausgebaut wurden, das war eigentlich gar nicht so schwierig. Angefangen haben wir auch ganz klein, mit einem Presse-Event, dass dann von Jahr zu Jahr immer größer wurde. Es kamen recht schnell immer mehr Partner dazu, schon 2009 zum Beispiel die DSW.

Claus Runge: Es ist uns gelungen, eine ganze Reihe von Partnerschaften in diesem Familienplanungsökosystem zu schaffen. Wir kooperieren beim WCD und allen Aktivitäten drum herum mit renommierten NGOs, der Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen, USAID und verschiedenen Ärztegesellschaften, was ja auch zeigt, dass dieses Vehikel geeignet erscheint, um die Aufklärungsziele zu verwirklichen. Inzwischen erreichen wir rund 200 Millionen Menschen. Am WCD kulminiert die Kampagne, die wir über das Jahr hinweg unterstützen. Dabei sind wir bemüht, die jungen Menschen da abzuholen, wo sie sich aufhalten. Das ist in zunehmendem Maße der Bereich der sozialen Medien. Entscheidend ist die "Your Life"-Kampagne, mit der wir auf allen gängigen Kanälen die Jugendlichen abseits aller kulturellen Beschränkungen erreichen. Man kann gar nicht genug herausstreichen, was das jetzt für eine Reichweite bekommen hat.

Trotzdem gibt es noch sehr viele unbeabsichtigte Schwangerschaften, laut Weltbevölkerungsbericht jede zweite, trotz der Existenz von Verhütungsmitteln. Da scheint es also noch ein großes Leck zu geben.

C.R.: Trotz aller Möglichkeiten der Information stoßen wir auf vielschichtige kulturelle Normen: wie gehen die Familien oder Partner mit dem Thema um? In vielen Regionen wird eine Vielzahl von Kindern noch als Altersversicherung betrachtet, insbesondere, weil soziale Sicherungssysteme im Alter fehlen. Das Ansehen einer Frau wird dann auch daran bemessen, wie viele Kinder sie zur Welt bringt und aufzieht.

H.P.: Ein Teil der Antwort ist auch, dass es nicht die One-size-fits-all-Solution gibt. Wo noch viel Raum nach oben ist: die richtige Anwendung von Verhütungsmethoden sicherzustellen. Der Unterschied zwischen klinischen Studien im kontrollierten Umfeld und der Anwendung, wie man so schön sagt, "im wirklichen Leben" ist ja doch relativ groß. Und genau da sind Initiativen wie der WCD und richtige Informationen ganz wichtig. Man kann das Thema Kontrazeption auch nicht losgelöst sehen von dem jeweiligen Gesundheitssystem oder der Infrastruktur. Manche Form der Verhütung bedarf der ärztlichen Versorgung, manche sind noch nicht mal von der Frau alleine anzuwenden - oder vom Mann, in der Zukunft.

Wie wichtig ist es, dass auch der Mann als Konsument beim WCD in die Kommunikation eingeschlossen wird?

H.P.: Es gibt viele gesellschaftliche Tabus und jede Frau befindet sich in einem bestimmten sozialen Umfeld. Wir haben damals schon gesagt, die Zielgruppe sind nicht weibliche Teenager, sondern allgemein Teenager und junge Erwachsene. Das Thema Sexualität ist nun mal ein Thema zwischen den Geschlechtern und beide Partner haben Verantwortung zu tragen, genauso wie die reproduktive Gesundheit, sexuell übertragbare Krankheiten usw. WCD war nie als eine Initiative gedacht, die sich nur an junge Frauen richtet, sondern immer ein Thema zwischen den Geschlechtern.

Verglichen mit dem Kampf gegen Hunger auf der Welt, wie groß ist die Unterstützung für die Verhütung?

C.R.: Während der Pandemie hat beispielsweise das Vereinigte Königreich seine Unterstützung für UNFPA dramatisch gesenkt. Dann sind aber andere Staaten und NGOs relativ schnell eingesprungen, um die Lücken zu schließen. Nach der Pandemie, die gerade für die Frauen viele Nachteile auf vielen Ebenen bedeutete, sehen wir aber, dass man schnell wieder aufholen und zumindest an den Status von vor der Pandemie wieder anknüpfen möchte. Die International Planned Parenthood Federation hat innerhalb der G7 Ministergespräche geführt, dabei haben insbesondere Kanada und Japan dazu aufgefordert, die Lücken zu schließen und das Thema Familienplanung voranzutreiben.

Wie ist es um die Bereitstellung von Waren und Unterstützung der Ärzteschaften auf dem Afrikanischen Kontinent bestellt?

C.R.: Wenn die Pandemie mit allen ihren negativen Begleiterscheinungen ein Positives hatte, dann, dass viele Regierungen einer Zusammenarbeit mit dem Privatsektor sehr viel aufgeschlossener gegenüberstehen, einfach aus der positiven Erfahrung heraus, dass man sehr eng zusammengearbeitet hat, um diese Pandemie zu bekämpfen. Trotz aller Widrigkeiten haben wir es geschafft, die Zahl der Nutzerinnen von modernen Kontrazeptiva in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen während der Pandemie zu steigern. Eine große Chance, die wir uns jetzt erhalten müssen.

Noch ein Blick voraus: was ist das Ziel für die Zukunft?

H.P.: Wäre es nicht toll, wenn jedes Kind, das in diese Welt geboren wird, gewollt ist und geliebt wird? Dass jede Schwangerschaft ein freudiges Ereignis ist? Das war von Anfang an die große Vision des Weltverhütungstages! Die natürlich längst nicht erfüllt ist. Aber was braucht es? Ein Schlüssel dazu ist Bildung und zuverlässige, faktentreue Information. Es gibt unglaublich viele Mythen und Missverständnisse, die um dieses Thema kursieren. In vielen Gesellschaften kann auch immer noch nicht offen dazu kommuniziert werden. Das große Ziel war es damals und bleibt es für die Zukunft, daran etwas zu ändern.

Grafiken

Teenagerschwangerschaften weltweit

Geburten pro 1000 Frauen von 15 bis 19 Jahren

Verhütungsmethoden Weltweit

Nutzerinnen von Verhütung nach Methode

Fotos

Heike Prinz

Claus Runge

Über die DSW

Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) ist eine international tätige Entwicklungsorganisation. Ihr Ziel ist es, zu einer zukunftsfähigen Bevölkerungsentwicklung beizutragen. Daher unterstützt sie junge Menschen dabei, selbstbestimmte Entscheidungen über ihre Sexualität und Verhütung zu treffen. Gleichzeitig bringt sie sich auf nationaler und internationaler Ebene in politische Entscheidungsprozesse in den Bereichen Gesundheit, Familienplanung und Gleichstellung der Geschlechter ein.

Diese Pressemitteilung als PDF (https://www.dsw.org/wp-content/uploads/2022/09/Interview_WCD_final.pdf)

Pressekontakt:



Nicole Langenbach
Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)
Hindenburgstr. 25 | 30175 Hannover
Telefon: 0511 94373-20 | Fax: 0511 94373-73
E-Mail: presse@dsw.org
Internet: www.dsw.org


Original-Content von: Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), übermittelt durch news aktuell

Artikel teilen